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Es lebe der Generalist!

Es lebe der Generalist, David Epstein

Das erwartet dich in diesem Artikel

Dass Spezialisierung und die frühe Festlegung auf ein Themengebiet Schlüssel zum beruflichen Erfolg sind, sagen viele Experten. David Epstein analysiert diese These in seinem Buch und macht Generalisten Hoffnung: Es ist eher die Ausnahme, als die Regel. Generalisten orientieren sich zunächst breiter und sind in ihrer Profession daher meist kreativer mit dem Blick über den Tellerrand, was in der heutigen VUCA-Welt nicht schaden muss.


Nach 10.000 Stunden bist du ein Experte

"Es lebe der Generalist!" als Blogtitel für eine Seite, die "Der Generalist" heißt? Reichlich selbstbewusst, oder? Stimmt, aber es ist eben der deutsche Buchtitel eines Bestsellers, der für mich eine besondere Bedeutung hat. David Epstein hat "Range. How Generalists triumph in a specialized world" geschrieben. Und auf deutsch heißt es eben "Es lebe der Generalist! Warum gerade sie in einer spezialisierten Welt erfolgreicher sind" Ich hatte das Buch, das perfekt zu diesem Blog passt, schon einige Zeit auf dem Radar. Aber bestellt und gelesen habe ich es erst, als mich der Trainer meiner letzten Weiterbildung darauf hingewiesen hat. Wir sprachen u.a. über meinen Blog und er empfahl mir sofort dieses Buch. Heute möchte ich dir die wichtigsten Gedanken aus diesem Buch mitgeben, um vor allem den Generalisten unter euch mitzuteilen, warum ihr mit dem, was ihr könnt, genau richtig seid in dieser Welt.

 

Die 10.000 Stunden-Regel ist der akzeptierte Maßstab, um in einer Sache zum Experten zu werden. Nach 10.000 Stunden professioneller Beschäftigung hast du es geschafft. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass sich jeder in einer komplizierter und spezialisierter werdenden Welt noch mehr spezialisieren sollte. Das Problem: Jeder gräbt seinen eigenen Expertengraben noch etwas tiefer. Keiner schaut mehr aus seinem Graben hinaus, geschweige denn über diesen hinweg zu anderen Gräben. Selbst wenn dort die Lösung eines Problems liegen könnte. Golf und Schach sind prototypische Sportarten und Spiele, um Experten zu fördern. Sie haben klare Regeln, es gibt klar abgesteckte Grenzen. Der Autor nennt sie "kind learning environments". Demnach entstehen beim Golfen und beim Schach spielen regelmäßig ähnliche Herausforderungen. Demgegenüber stehen heimtückische Umfelder (Epstein nennt sie "wicked domains"), in denen die Regeln des Spiels oft unklar und sogar unvollständig sind. Es mag sich wiederholende Abläufe geben, sie mögen aber nicht offensichtlich sein. Eine Rückmeldung zur eigenen Herangehensweise erfolgt oft verzögert, manchmal gar nicht. Epstein beschreibt diese beiden Welten mit zwei Weltsportlern, deren Start in ihren Sport nicht unterschiedlicher hätte sein können: Tiger Woods und Roger Federer. Während Woods schon mit drei Jahren sein Golftalent im Fernsehen zeigte und ein Beispiel eines "early specialisers" in einem Sport ist, dessen Regeln klare Grenzen definieren (deben ein "kind learning environment"), hat Federer vor seinen 20 Grand Slam-Gewinnen im Tennis als "wicked domain" viele verschiedene Sportarten ausprobiert und sich erst spät spezialisiert.

In einer "wicked world" braucht es analoges Denken

Wir leben in einer VUCA world, die Corona-Pandemie ist leider ein ziemlich passendes Beispiel dafür. VUCA bedeutet als Akronym, das unsere Welt unbeständiger ("volatility"), unsicherer ("uncertainty"), komplexer ("complexity") mehrdeutiger ("ambiguity") wird. Und eine solche Welt hält sich nicht mehr in dem Ausmaß an die Regeln, wie wir das aus den letzten Jahrzehnten gewohnt sind. David Epstein nennt diese Welt "wicked world."

 

Er beschreibt, dass Menschen sehr gut auf das vorbereitet sind, was sie kennen. Aber sie scheitern, wenn sie keine Erfahrung mit einer neuen Situation haben. Allerdings ist das, was in einer sich schnell entwickelnden und unplanbaren Welt relevant ist, konzeptionelles Denkvermögen. Konzeptionelles Denken ermöglicht es neue Ideen über verschiedene Erfahrungskontexte hinweg zu verbinden. Seine These ist, dass diejenigen, die in der Lage sind Erfahrungen eines bekannten Kontextes auf einen unbekannten zu übertragen, in der VUCA-Welt belohnt werden. Wenn man dies zu Ende denkt und spiegelt, wie breit oder schmal der Kontext eines Experten im Vergleich zu einem Generalisten ist, versteht man, warum er Generalisten in einer spezialisierten Welt für Gewinner hält.

 

Der Autor beschreibt diese Fähigkeit als analoges Denken. Analoges Denken ist eine wesentliche Kompetenz des menschlichen Denkens zur Problemlösung. Gedankensprünge ("mental leaps") ermöglichen es Erfahrungen aus einer Situation auf eine andere zu übertragen und somit kreativ zur Problemlösung beizutragen.

 

Ein praktisches Beispiel für analoges Danken, das im Buch zitiert wird, ist die Aufstellung der Beratung Boston Consulting Group im Jahr 2001. Damals wurde eine eigene Intranetseite aufgebaut, um Analogien beim Denken zu fördern und somit Probleme besser zu lösen. Es wurden Inhalte aus verschiedenen Disziplinen wie z.B. Anthropologie, Psychologie und Geschichte zur Verfügung gestellt. Dazu kamen Konzepte aus dem Change Management, der Logistik und der Produktivität. Diese wurden verbunden mit strategischen Herangehensweisen aus den Bereichen Wettbewerb, Kooperation, Gewerkschaften und Allianzen. Ein ziemlich fortschrittlicher Ansatz, wenn man überlegt, dass dieser bereits vor 20 Jahren umgesetzt wurde. Epstein zeichnet ein Gegenbild zu diesem Ansatz mit folgendem Zitat:

 

"When all the members of the laboratory have the same knowledge at their disposal, then when a problem arises, a group of similar minded individuals will not provide more information to make analogies than a single individual."

Was der Erfinder des Game Boy mit Charles Darwin gemein hat

Gumpei Yokoi schnitt bei seinen Elektronikprüfungen nicht unbedingt gut ab. Daher musste er sich mit einem Job als Maschinenwartungsarbeiter bei einer Firma im japanischen Kyoto zufrieden geben. Er konnte nicht wie viele seiner Kollegen zu einem großen Unternehmen nach Tokio gehen. Demnach erkannte er auch, dass er nicht in der Lage war auf dem neuesten Stand der Technik zu arbeiten. Er hatte aber die Fähigkeit Dinge zu sehen, die seine spezialisierten Expertenkollegen übersehen hatten. Er verstand es ältere, etablierte und günstige Technologie in einer Weise zusammenzufügen, wie es noch niemand zuvor getan hatte. Sein Arbeitgeber hieß Nintendo und Gupei Yokoi ist der Erfinder des Game Boy. Die Technologie des Game Boy war bereits bei seiner ersten Auflage veraltet, aber es wurde die erfolgreichste Spielekonsole ihrer Zeit. Der Erfinder nannte seinen Ansatz"Querdenken mit verwelkter Technologie".

 

Und was hat der Game Boy-Erfinder nun mit Charles Darwin zu tun? Charles Darwin ist zu aller erst für seine Evolutionstheorie bekannt. Was ich nicht wusste, obwohl ich vor einigen Jahren seine Biographie gelesen habe, ist, dass sein Erfolg seinem breiten Netzwerk zu verdanken war. Er hatte 231 Brieffreundschaften mit Wissenschaftlern, die er gepflegt hat. Sie hat er mit Fragen zu 13 verschiedenen Themenfelder bombardiert - von Würmern bis zur Auslese bei der sexuellen Reproduktion. Seine Fähigkeit lag also darin, das - größtenteils - vorhandene Wissen Dritter zu einer neuen Theorie zusammenzuführen. Er hat laterales Denken über verschiedenen Felder zusammengeführt und war ein Generalist. Das ist seine Gemeinsamkeit mit dem Erfinder des Game Boy.

Quellen

Liebe Generalisten, lernt eure Vielfalt zu schätzen

Screenshot https://www.xing.com/news/klartext/liebe-generalisten-lernt-eure-vielfalt-zu-schatzen-3942

Ein Plädoyer von Dr. Bernd Slaghuis für ein selbstbewusstes Umgehen der Vielfalt von Generalisten auf dem Arbeitsmarkt.

Persönlichkeitstypen: Bist du (auch) ein Scanner?

Screenshot https://justmycoach.de/bist-du-ein-scanner-der-test/

Du fängst viele Dinge an und bringst wenige davon zu Ende? Du interessierst dich für fast alles und weißt gar nicht, wie du es unter einen Hut bringen sollst? Dann ist dieser Artikel für dich.

TED talk David Epstein on specializing early

TEXT

https://www.youtube.com/watch?v=B6lBtiQZSho

Kein Problem für Generalisten

Screenshot https://podcasts.apple.com/de/podcast/k-ein-problem-für-generalisten/id1549521546

Der Podcast „Kein Problem für Generalisten“ berichtet in bislang zwölf Episoden über die Themen und Probleme von Generalisten.


Fazit


Dieses Buch hat für mich eine spezielle Bedeutung. Es ist keine Argumentation gegen das Expertentum, sondern für den generalistischen Ansatz und die Kombination aus breitem und anschließend tiefem Denken. David Epstein erläutert mit seinen Beispielen überzeugend, welche Vorteile das späte Spezialisieren auf ein Thema hat, warum analoges Denken in der VUCA-Welt eine relevante Fähigkeit ist und weswegen Generalisten sich nicht verstecken sollten.

 

Natürlich hat das Buch auch eine große Nähe zu meinem Werdegang und meiner Persönlichkeit als Generalist. Mein Studium der Diplom Geographie war schon in sich sehr breit ausgerichtet und ich habe die Vielfalt sehr geschätzt. In meinem Job habe ich bislang die Themenfelder Internationalisierung, Logistik, Gesundheits- und Finanzwirtschaft sowie Change Management und Pandemiehilfe verantwortet. Und mein Blog "Der Generalist" hat derzeit schon sieben Unterkategorien (Tendenz weiter steigend...). Es ist wohl offensichtlich, warum ich das Plädoyer von David Epstein absolut unterschreibe.

 

Womit beende ich den Artikel? Mit einer Aufforderung nicht zu früh im Leben die Spezialisierung zu suchen bzw. den Blick noch einmal zu weiten, wenn du die Spezialisierung schon eingenommen hast.

 

"Early career specializers jumped out to an earnings lead after college, but later specializers made up for the head start by finding work that better fits their skills and personalities." - James Clear

 

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